In der Wartehalle

Es gibt Zeiten, in denen sich einfach alles hinzieht, und man nichts bis gar nichts machen kann, um es zu beschleunigen. Es geht einfach nicht voran und trotzdem rast die Zeit und man weiß nicht, wo die letzten Tage am Ende geblieben sind. Es passiert so einiges und irgendwie nichts.

Wir hängen gerade in einer Warteschleife. Wir warten, dass wir unsere Pläne endlich umsetzen können. Doch gerade im Sommerloch passiert nichts. Alle Handwerker lassen uns warten. Normalerweise wollten wir schon mitten in den Umbauarbeiten stecken. Denn so langsam müssen wir aktiv werden: Der Winter kommt, die Inflation steigt, Material- und Fachkräftemangel nimmt zu. Man hört von den ersten Hamsterkäufen von Öl und Holz. Doch was können wir noch tun? Ohne die Handwerkerfirmen geht gerade nichts: Die Reaktivierung unseres Schornsteines und damit der Einbau eines Kaminofens (alternative Wärmequelle), der Innenausbau unseres Obergeschosses geht auch nur mit Fachmännern, wenn wir Förderungen haben möchten, die Fenster, und vor allem der Heizungsumbau (Gas auf Erdwärme). Nach fast drei Monaten haben wir noch immer keine Kostenvoranschläge in der Tasche. Volle Auftragsbücher, Corona, Urlaub, usw. alles kommt dazwischen. Zum allen Überfluss hat sich auch unser Elektriker in den Ruhestand verabschiedet. Es ist zum Verrückt werden. Liebe Jugend: Bitte entdeckt doch wieder das Handwerk!

Meine Oma feierte Ende Juni ihren 99. Geburtstag. Leider sehr dement. Vor 80 Jahren in ihrer Jugend hatte sie sicher andere Sorgen. Das Bild haben wir beim Schränke verücken gefunden.

Wir fühlen uns wie in der Wartehalle aufm Bahnhof: Alles bewegt sich um uns herum, nichts steht still, wir schauen dem Treiben zu und sind nicht wirklich aktiver Teil des Ganzen. Am Ende einer neuen Wochen haben wir zwar viel getan, denn Baustellen gibt ja genug, doch selbst unsere kleinen Teilprojekte nehmen nicht Form an. Und immer wieder die Frage, was nun? Bei welchem Handwerker machen wir heute Druck? Wen erreichen wir überhaupt?

Ich habe mich seit dem Umbau wirklich viel in Geduld geübt. Doch nun nervt dieses Nicht-Vorankommen einfach nur noch. Und ich weiß nicht, ob diese Diskussionen um teures oder gar kein Gas im Winter oder steigende Energiepreise nur Panikmache ist. Doch eines ist klar: Wir können uns mit diesem Einkommen keine Vervielfachung der Energiepreise leisten. Also ein Plan B muss her.

Wie passend dazu wurde vor paar Tagen der Paritätischer Armutsbericht veröffentlicht: M-V (Armutsquote von „nur noch“ 18,6 %) war 2021 nicht mehr ganz so arm und Bayern (Armutsquote von 12,6 %) wird ärmer. M-V verbesserte sich von Platz 13 auf Platz 10. Nun das ABER: Der Anstieg der bundesweiten Armutsquote um 0,4 Prozentpunkte von 16,2 % auf 16,6 % bedeutet eine Zunahme der Armut um 2,5 % und die fünf reichsten Bundesländer haben überdurchschnittlich stark zugelegt. Das heißt, dass M-V ist gar nicht besser in seiner Armutquote geworden ist, sondern im Gesamtvergleich haben sich andere Bundesländer verschlechtert. Übrigens die Armutsquote im Vergleich: Mittleres Mecklenburg/Rostock 18,2%, München 10,1%.

Das Zappanale-Festival in Bad Doberan. Eigentlich auf der Galopprennbahn, doch die gratis Konzerte gabts einen Tag zuvor in der Stadt. Das Mini-Festival hat Doberan mal in einem anderen Licht leuchten lassen: Eine Vielfalt an Menschen, die einfach Bock auf gute Musik hatten. Für uns ein Flair wie in alten Zeiten.

Naja, das zuversichtlich nach vorn Schauen fühlte sich vor paar Wochen doch etwas anders an. Momentan sind wir einfach nur genervt vom Warten. Aber … dann gibt es doch solche kleinen Hoffnungsschimmer: Nachdem wir Wochen verstreichen lassen haben und uns die Firma dann doch sagte, dass sie unsere Bauerarbeiten nicht durchfühen könne, wurden wir an eine andere vermittelt. Und schwupps, war sogar jemand gleich da. Er kennt sogar noch die alte Dame, sprich meine Oma, aus diesem Haus. Zuversicht! Das ist Kleinstadt! Man kennt sich eben … allerdings warten wir jetzt auch wieder seit inzwischen vier Wochen auf seinen Kostenvoranschlag …

Dafür ist der Sommer jetzt richtig in Fahrt gekommen, wobei so lange mussten wir gar nicht warten; seit Ende Mai gabts ja fast nur schöne Tage. Und das erste Mal waren wir auch wirklich happy, nicht in München zu wohnen. An der Küste hatten der eine Hitzetage nur 32 Grad aufs Thermoneter gebracht. Für einen Hitze-Muffel wie mich, waren die Tage drum herum aber auch schon sehr knackig. Ich bin sogar in der Ostsee baden gewesen!

Mit dem 9 Euro Ticket nach Kühlungsborn

Wir wohnen und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen. Touristen in der eigenen Stadt sind wir ja schon gewohnt, aber trotzdem ist es gefühlt jeden Sommer ein Ausnahmezustand. Proportional ist es so ungefähr, als wenn in München Oktoberfest ist – nur nicht ganz so international. Naja, vielleicht hinkt der Vergleich ein bissel.

Kleiner Snack nach der Arbeit an der Strandpromenade von Kühlungsborn, die übrigens mit 6 km die längste an der Ostseeküste ist.

Der Molli fährt jeden Tag an unserer Haustür vorbei – wie ich gelernt habe, die einzige Schmalspurbahn Deutschlands, die tatsächlich im Ort (wie die Tram) fährt. (Und bitte verinnerlichen: Es ist DER Molli und nicht die Molli. Kriege immer Gänsehaut, wenn ich das höre.) Zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn pendelt er hin und her. Es gibt sogar Pläne, dass die Molli-Strecke von Rerik bis nach Warnemünde ausgebaut wird. Jedenfalls war der Molli nie besonders voll. Jetzt mit dem 9 Euro Ticket und 13 Wagons (!) ist er sogar so voll, dass man noch nicht mal mehr einen Sitzplatz bekommt. Und kein Wunder: Eine einfache Fahrt kostet sonst 10,50 Euro. Selbst im Bus nach Kühlungsborn muss man zu bestimmten Tageszeiten stehen. Unglaublich, der Bus war sonst semivoll. Nun ja: Eine Tageskarte mit dem Bus kostet normalerweise so viel, was nun dieses besagte Sparticket kostet. Was für Relationen!

Also, 9 Euro Ticket besorgt und ab nach Heiligendamm, nach Rostock und nach Kühlungsborn. Wir holen dort Jürgen öfter ab. Es ist schon cool, wir warten am Strand auf den Papa bis er fertig mit seiner Arbeit ist und dann wird geschlendert oder am Strand gechillt. Schon toll, dort zu wohnen und zu arbeiten, wo andere Urlaub machen.

Anfangs konnte ich Kühlungsborn nicht viel abgewinnen. Wohnen würde ich da noch immer nicht wollen. Die protzigen Villen – neumodisch umgebaut zu Hotels und Pensionen – sind zwar noch schön anzusehen, doch haben sie ihren natürlichen Charme verloren. Aber der Ort hat einen sehr schönen Strand. Jedes Jahr nach den Winterstürmen wird der Strand mit Sand aus dem Meer aufgefüllt – als Unterschied zu den umliegenden Naturstränden der Steilküste.

Heiligendamm ist das älteste Seebad der Ostseeküste, Kühlungsborn ist aber das größte und zählt nach umfangreichen Sanierungsarbeiteiten auch zu den schönsten … und es ist der Geburtsort meines Opas. Es entstand 1938 aus dem Zusammenschluss der Fischerdörfer Brunshaupten, Arendsee und dem Gut Fulgenhof. Das Wort Kühlungsborn ist ein Kunstwort, das aus den Begriffen Kühlung (Name des Höhenzuges südlich des Ortes) und Born (Quelle, Brunnen) abgeleitet und zeitgenössisch als „ein Born der Gesundheit und neuer Kraft“ interpretiert wurde.

Kühlungsborner gibts übrigens auch in der Burgerbude vom Hotel Upstalsboom. Ein tolles Konzept, denn dort managen die Azubis den Laden.

Ab 1850 kamen die ersten Badegäste, sie wohnten tatschlich in den Häsuern der Einheimischen. Mit der Zeit eröffneten die ersten Hotels und Pensionen sowie vornehme Logierhäuser. Mit den Weltkriegen hatte das Badevegnügen ein Ende. Aus noblen Fremdenzimmern wurden Flüchtlingsunterkünfte und Lazarette. Später verbrachten die DDR-Bürger ihren Urlaub dort. Der Massentourismus war zurück. Der Strand in Kühlungsborn zog nicht nur Urlauber an, sondern auch Ausreisewillige, die den Weg in die Freiheit über die Ostsee suchten. Ein Wachturm erinnert an diese Vergangenheit. Die Wende kam gerade recht, sie stoppte den Verfall der prachtvollen Häuser. Die Seebrücke und die Marina machen nun Kühlungsborn auch von der See aus attraktiv.

Wir mögen den Ort für etwas anderes: Das Kühlungsborner – ein Bier, das sanft wie das bayerische Helle mit einer Brise nordisch herb schmeckt. Doch ausgerechnet dieser Genuss ist in Gefahr, denn die Zutaten können nicht mehr geliefert werden. Biernot in Sicht! Und dass Biermangel Menschen auf die Straße bringt, wissen wir spätestens seit der Münchner Bierrevolution 1844. Eine Touri-Fahrt in der kleinen Bäderbahn gab mir die Antwort, warum dieses Bier so herrlich bayerisch schmeckt: Der Inhaber des Kühlungsborner Brauhaus ist ein bayerischer Braumeister! Es ist übrigens köstlich dort, und den Schweinsbraten gibts dort auch mit einer gescheitn Kruste.

Tja, nun sind unsere Sommertage Ostsee geprägt. Wer hätte das gedacht. Ehrlich gesagt, sind wir aber nicht ständig an der See. Wir lieben unseren Garten. Doch die Sonnenuntergänge sind schon schön kitschig romantisch …

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s