Rastlos

Wochenlang habe ich auf diese Zeit hingefiebert und gehofft, dass Corona uns nicht noch mehr Striche durch die Rechnung macht. Schon im Februar war klar: Unseren geplanten Urlaub im Mai machen wir in München. Urlaub planen kann man in diesen Zeiten so und so nicht und wir brauchen kein Hotel, weil wir bei Freunden schlafen. So viel kann nicht viel schief gehen und wir sind wieder daheim.

Waldidylle und Vogelgezwitscher auf dem Campingplatz in der östlichen Oberlausitz.

Im Februar dachten wir noch, im Mai sollte alles wieder problemlos geöffnet haben. Doch dass es sich so hinzieht, hätten wir nicht erwartet. Und Urlaub mit Kind muss dann doch irgendwie ein wenig geplant sein. Wir hatten auch die Idee, dass wir für paar Tage in das Haus meiner Freundin im Bayerischen Wald fahren, doch Jürgen hatte schon recht: Die ganze Zeit in kleinster Familie und dann Urlaub noch mal in kleinster Familie, nur eben woanders, macht nicht viel Sinn. So ging das einfach mal Losfahren am Ende doch nicht auf.

Doch nun haben wir unser Kind auf dem Campingplatz nahe Görlitz bei meinen Eltern abgeliefert, haben für eine Nacht Waldluft eingeatmet und sind bereit für die Abgase einer Großstadt. Wie sagt man so schön? Alles ist gut!

Die Sucht namens Fernweh

Natürlich sind wir nicht erst Sonntag von Bad Doberan in die östliche Oberlausitz gefahren. So lange wollten wir dann doch nicht mehr in unseren vier Wänden bleiben. Uns, insbesondere mich, hat’s raus gezogen. Raus, einfach nur raus. Bewegung. Lebendigkeit. Menschen. Es gibt viele Menschen, die am Fernweh leiden. Nun ja, ob es wirklich ein Leiden ist, ist wahrlich Ansichtssache, natürlich ist das Reisen und das Stillen dieses Fernwehs auch eine wahre Wonne – wie eine Sucht, die gerade gestillt wird. Ein Rausch. „Fernweh beschreibt die menschliche Sehnsucht, vertraute Verhältnisse zu verlassen und sich die weite Welt zu erschließen.“ sagt Wikipedia. Wie wahr. Und man muss dazu noch nicht mal in die große weite Welt. Was allein ein Städtetrip in Deutschland zu bieten hat, ist horizonterweiternd. Oder andere Menschen kennen lernen, in anderen Kulturkreisen einzutauchen, alte Zeiten erforschen … Fernweh ist bereichernd.

Doch Fernweh gepaart mit Rastlosigkeit ist schon ein Leiden. Man hat ständig das Gefühl, man muss raus. Als Rastlosigkeit bezeichnet man in der Medizin einen Zustand, der von gesteigertem Antrieb und körperlicher Unruhe gekennzeichnet ist, so erklärt es mir Mr. Google. Klare Sache, die Symptome habe ich und das schon seit Jahren. Ich habe es aber nie als Problem empfunden, im Gegenteil: Ich war frei und single und konnte unterwegs sein, so viel ich wollte. Da ein kleiner Urlaub, dort mal ein Städtetrip, hier wieder etwas größeres. Reisen und Bewegung, das war mein Lebenselixier. Dabei war sehr oft der Weg das Ziel. Hauptstädtische nicht still stehen.

Natürlich hatte ich auch in meinem sozialen Umfeld einige Hobby-Psychologen, die mir erklärten, das Reisen müssen läge an meiner inneren Unruhe. Ich solle mir ein Zuhause schaffen, damit ich mal zur Ruhe komme und andersrum: So werde ich natürlich nie eine Familie gründen können, wenn ich nicht bereit wäre, mich mal niederzulassen. Klar, hatten sie irgendwie recht. Aber sollte ich mich niederlassen und darauf warten, dass ich eine Familie gründe und dann habe ich keine Sorgen mehr? Aber das ist es ja, ich hatte doch kein Problem mit meiner Rastlosigkeit und meinem Fernweh. Wieso sollte ich was ändern?

Das Fernweh geht zurück, doch die Rastlosigkeit bleibt

Und Übrigens, die Familie kam von ganz allein, ohne dass ich mich niederlassen und ruhiger werden musste. Das Niederlassen, das settle down, kam eigentlich erst mit unserem Umzug nach Doberan. Es ist schön, etwas Eigenes und – vor allem – einen Garten zu haben, ich möchte es nicht mehr missen. Und ich merke, dass ich schon ruhiger und vor allem entschleunigter bin, doch die Rastlosigkeit bleibt – vielleicht nicht in diesem Ausmaß, doch sie ist noch da. Meine Ideen, was ich noch alles (mit meiner Familie) machen möchte, reißen nicht ab. Das Fernweh wird aber ein wenig neutralisiert durch die Herausforderungen, die wir rund um unser neues Zuhause zu meistern haben. Die innere Unruhe, das in Bewegung bleiben, bleibt allerdings.

Blühende Rapsfelder im Mai

Viele Hausbesitzer erklärten mir, dass die Vereinbarkeit von Haus und Urlaub schwer sein würde. Wenn man sich ein Haus baut, dann müsse man nun mal ein Weile auf Urlaub verzichten. Da müsse man sich eben mal zusammenreißen. Und in meinem Inneren schreit es: Nein, irgendwie muss es auch anders gehen.

Nun sind wir unterwegs. Wir sind in München. Wir freuen uns wahnsinnig auf eine Woche Zeit mit unseren Münchner Freunden und auf einen Übermaß an Aktivität und Glückshormonausschüttung.

Wer weiß. Ich sehe mein Fernweh und meine Rastlosigkeit noch immer nicht mit Sorge. Im Gegenteil, es treibt uns auch an. Es macht Spaß, etwas neues gemeinsam aufzubauen und paradoxerweise lässt mich die neue Sesshaftigkeit und die Nähe zur Natur auch runterkommen. Problematischer wird es nur, wenn ich wochenlang aus meiner „Wir-sind-umgezogen-und-kennen-niemanden-außerdem-ist-Corona-Isolation“ nicht rauskomme.

Urlaubsstart in Sachsen-Anhalt

Bisher hatten wir auch wunderschöne Urlaubstage. Bevor wir Ricardo zu den Großeltern brachten, waren wir bei Freunden in Sachsen-Anhalt. Eine schöne Gegend und eine vertraute Gegend, weil ich dort (in meiner Twenty-Zeit) viel Zeit verbracht hatte. Und ich sage euch, auch dieses Gegend ist eine Erkundungsreise wert. Man muss wirklich nicht immer in die Ferne schweifen.

Magdeburg ist eine sehenswerte Stadt geworden. Man glaubt es gar nicht, aber das was einfach nur nach „grauer Osten“ klingt ist bunt und dynamisch und mit einer lesenswerten Geschichte (auch für Deutschland): Otto der Große, der die Stadt zu seiner Hauptstadt machte und unter anderem von Magdeburg aus sein Heiliges Römisches Reich regierte, oder Otto von Guericke, der Bürgermeister war und im 17. Jahrhundert von Magdeburg aus die Wissenschaft prägte, oder die schlimmen Erfahrungen im 30-jährigen Krieg, das „Magdeburgisieren“ … Magdeburg ist mehr als eine Stadt im Osten.

Ein Gedanke zu “Rastlos

  1. Also das mit dem auf den Urlaub verzichten, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wobei es da wahrscheinlich auch immer drauf ankommt, wie man seinen Urlaub gestaltet. Wenn man sich davor natürlich immer schön irgendwelche „Luxusreisen“, gegönnt hat, okay, mag das dann vielleicht nicht mehr drin sein. Aber wie du schon schreibst, gibt es hier ja auch genug zu entdecken und auch für vergleichsweise kleines Geld. Und wer rastet, der rostet, also raus in die Welt 🙂

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